In Israel
Im Flugzeug hatte ich ausgiebig die Jerusalem Post gelesen. Das war eine gute Einstimmung: Berichte über die jüngsten Raketenangriffe aus dem Gazastreifen (das muss man sich immer klar machen, diese ständige Bedrohung); differenzierte Berichte zum dann abgesagten Besuch der US-Demokratin, die die antiisraelische Boykottbewegung BDS unterstützt, und auch zur Israel-Politik von Präsident Trump; sehr eindeutig kritische Berichte über den Iran, der ständig die Vernichtung Israels fordere – und großes Unverständnis, das der Bundespräsident den neuen iranischen Botschafter mit diplomatischen Ehren empfangen hat; dazu ein theologischer Essay über die religiös-apokalyptischen Vorstellungen, die die Geistlichen in Teheran in ihrer Politik leite - ohne genug Fachkenntnis klang er mir durchaus plausibel. Schließlich ein kritischer Artikel dazu, dass Israel in ganz anderer Weise in Bildung und Lebensbedingungen in Ostjerusalem investieren müsse.
Ich spüre deutlich, wie mich hier bewegt, dass ich weiß, dass meine Vorfahren Brandy bis etwa 1880 Juden waren. Ich bin mir relativ sicher, unseren Familiennamen auf einen ehemals vornehmlich jüdischen Ort „Brandeis“ (heute Brandýs) in Böhmen bzw. Tschechien zurückführen zu können. Und es bewegte mich, zufällig auf der Landkarte einen Ort „Kfar Brandeis“ bei Chadera entdeckt zu haben; ich bin da nahe dran vorbei gefahren.
Ich war bisher in Israel nur einmal, 1980. Das Land selbst trat mir zugleich in einer spannungsvollen, großen Breite entgegen: Die orientalischen Basare und Teppichhändler in der Altstadt von Jaffa. Direkt daneben das hochmoderne Tel Aviv, mit Hochhäusern und jungem Badeleben an der Beach. Säkulare Juden, Araber, Touristen, viele orthodoxe Juden, oft als Familie – ein buntes Gemisch. An einer Stelle am Strand sah ich ein großes Bade-Event orthodoxer jüdischer Männer, bei dem Hunderte auf einmal an einem schmalen Abschnitt im Meer waren. Auf Nachfrage erfuhr ich, es handle sich nicht um einen kultischen Anlass, sondern nur um einen Standabschnitt, der (heute?) für Männer reserviert sei – nur so sei den Orthodoxen das Baden möglich. Im Küstenbereich fuhr ich durch moderne Städte mit vielen Hochhäusern – und soweit ich sah eher gesichtslos. Dazwischen auch High-Tech-Ansiedlungen, Microsoft zum Beispiel.
In Caesarea war ich in einem bezahlbaren, aber sehr gediegenen B&B in einer guten Wohngegend gelandet. Angezogen hatte mich bei Booking.com der Name „Christian Vacation and Retreat Center“. Ich traf aber nicht, wie angenommen, auf eine Tagungsstätte, sondern auf zwei sehr edle, luxuriöse Villen mit jeweils großem Pool. In der einen lebte der Betreiber mit seiner Frau, ein Schotte, die andere vermietete er. Ich bekam ein hervorragendes Frühstück. Und er erzählte mir dann von seinem Tun. Im Keller seiner erst vor Kurzem erworbenen Villa zeigte er mir ein voll ausgestattetes Film- und Tonstudio in vier Räumen. Er wirke weltweit als Prediger und theologischer Lehrer über entsprechende Sendekanäle und im Internet, um die hebräischen Wurzeln des Evangeliums deutlich zu machen. Auf YouTube findet man „Kenny Russell, Israel“ sofort; ich hatte keine Zeit, das näher theologisch anzuschauen. Es wirkte erstmal in unseren Kategorien charismatisch-freikirchlich. Seine Internetseite hat den unfassbaren Namen „Bulldozerfaith.com“. Auch so etwas trifft man in Israel.
Nach Galiläa
Auch dieses Wohnquartier war wieder ein „gefangener“ Bereich. Ich musste mehrere Kilometer zurück fahren, um auf eine Straße Richtung Norden zu kommen. Nach den desaströsen Erfahrungen des Vortages auf unpassierbaren Sandwegen fuhr ich streng nach Karte und blieb auf den größeren Straßen. So bin ich zügig (und auch mit Rückenwind) die 100 km zum See Genezareth gefahren. Allerdings: Diese größeren Straßen waren durchgängig vierspurig, sie sind faktisch von Autobahnen nicht unterscheidbar. Man kommt darauf zügig voran, und das Ganze ist wegen des breiten Seitenstreifens auch relativ sicher. Trotzdem war das irgendwie ein Erlebnis der dritten Art und gar nicht im Sinne des Erfinders von Radtouren. Anhalten kann man nur an Raststätten; an einer solchen habe ich auch meine Mittagsrast gemacht. Eine nette jüdische Familie gab mir Wasser und suchte mit mir im Smartphone nach einer verkehrsärmeren Alternative, fand aber auch nichts. Echt heikel wurde es einmal in einem Baustellenbereich, in dem es den Randstreifen nicht gab und ausgerechnet da meine Straße und eine Autobahn zusammenkamen – da war es eng und es wurde viel gegen mich gehupt. Und zwischendurch kam später unvermittelt und auf der Landkarte nicht erkennbar auch mal wieder ein Autobahnschild. Da kann man dann nur weiterfahren; gestört hat es wiederum niemanden. Diesen Abschnitt von 15 km habe ich dann auch überstanden. Nach längeren Aufstiegen ging es am Ende lange abwärts, so dass ich dann recht schnell in Tiberias war. So einen Streckenabschnitt brauche ich nicht noch einmal. Ich hätte nur für einzelne Passagen auf andere Straßen ausweichen können, das wäre aber deutlich weiter gewesen.
Am See Genezareth
Am See war es dann besser zu fahren. Und es war natürlich schon sehr bewegend, an diesem Ort zu sein. Das erste Mal erfasste mich das emotional, als ich auf meiner Schnellstraße das Schild las „Nazareth 47 KM“. Da wurde mir innerlich wirklich präsent, wo ich hier bin: Der Ort,an dem Jesus gelebt und gewirkt hat. Nach dem städtischen Tiberias, wo ich Wasser erstand und problemlos ein defektes Ladekabel austauschte, fuhr ich am See nach Norden bis nach Tabgha. Hier gibt es ein wunderbares Pilgerhaus des katholischen Deutschen Vereins vom Heiligen Land, das mir von immerhin drei Seiten empfohlen worden war. Ich war hier auch 1980 schon. Ein sehr schönes und gepflegtes Haus. Ein Ort großen Friedens unmittelbar am See. Es war nach der etwas nervenzehrenden Fahrt eine extreme Wohltat, hier einzukehren, freundlich empfangen zu werden und auch ausgezeichnetes Abendessen zu bekomme. Ich bleibe hier mit Freude für zwei Nächte. Meine Radfahrt soll mich noch nach Jerusalem führen. Weiter muss ich sie nach den bisherigen Erfahrungen nicht ausdehnen.
Gern hätte ich an den Tagzeitengebeten der Benediktinermönche in Tabgha teilgenommen. Die fanden aber gerade nicht statt, weil die Mönche bei der Beisetzung einer Ordensschwester in Jerusalem waren. Gleichwohl war ich länger in der nahen „Brotvermehrungskirche“ mit dem berühmten Mosaik von Fischen und Brot. Eine sehr schöne, schlichte Kirche, die 1982 eingeweiht wurde. Natürlich habe ich das Evangelium von der Brotvermehrung gelesen, Markus 6,30ff. „Gebt ihr ihnen zu essen“, sagt Jesus den Jüngern im Blick auf die Menge der Menschen. Aber sie hatten nahezu nichts. Mangel. Mich bewegte das sehr im Blick auf unsere kirchliche Lage. „Gebt ihr ihnen zu essen“. Auch wir tun uns erkennbar furchtbar schwer im Blick auf ungezählte Menschen. In diesen Wochen wurde wieder die ziemlich üble Entwicklung der Mitgliederstatistik veröffentlicht. Wir müssen ehrlich auch oft sagen: Wir haben nur ganz wenig. Aber dieser Ort hier erinnert daran, dass Gott genau mit dem, was da ist, etwas machen kann. Am Ende genügt es nicht nur, es ist Überfluss da. Eine große Ermutigung für mich für die kommenden Jahre des Dienstes, in denen es manchen Mangel zu bearbeiten geben wird.
Am frühen Abend bin ich einmal zum nahen „Berg der Seligpreisungen“ hinaufgeradelt, wo es eine schöne Kirche und ein Kloster gibt und man einen wunderbaren Blick auf den See hat. Auch dies ein sehr friedlicher Ort. Und das immer mit Blick auf die Golanhöhen und keine 50 Kilometer von der Grenze zu Syrien entfernt. Israel ist ein wunderbares und faszinierendes und spannungsvolles Land. Es ist großartig, dass ich jetzt hier bin. Ansonsten habe ich den Tag im Pilgerhaus verbracht und einiges nachgedacht und aufgeschrieben im Rückblick auf die letzten knapp zehn Wochen.